Die Tragödie um den Grenfell Tower ging durch alle Medien. Tagelang. Andere verheerende Brände in Europa und der Welt, die in den vergangenen Jahren viele Menschenleben gekostet haben, sind eher unbekannt. Doch es gibt leider Gottes viele davon. Irgendwas scheint beim Thema Brandschutz in Gebäuden also falsch zu laufen, wenn in den letzten Jahren so viele große Brände entstehen und Opfer fordern konnten. Sind das Zufälle, ist es erhöhte mediale Aufmerksamkeit oder steckt da eventuell doch ein systematisches Problem hinter? Ich hoffe nicht auf letzteres…
2009: Großbrand der neuen Zentrale des chinesischen Staatsfernsehens CCTV in Peking.
2010: 53 Tote in 28-gehschossigen Hochhaus in Shanghai.
2011: 18 Tote in nicht genehmigten Wohnhaus in Peking.
2012: 19 Tote in einem Einkaufszentrum in Katar.
2013: 242 Tote in einem Nachtclub in Brasilien.
2014: 32 Tote in einem Altenheim in Kanada.
2015: Brand in historischer Bibliothek in Moskau.
2015: Brand in einem 63-geschossigen Hotel in den VAE.
(seitdem 5 weitere Brände in Gebäuden mit mehr als 34 Geschossen in den VAE)
2016: 36 Tote in einem umgebauten Lagerhaus in Oakland, USA.
2017: 20 Tote in einem 17-stöckigen Einkaufsgebäude in Teheran.
2017: 28 Tote in einem Jugendheim in Guatemala.
2017: Brand im Torch Tower in Dubai, zum zweiten Mal in zwei Jahren.
2017: 80 Tote im Grenfell Tower in London.
Das Feuer im Grenfell Tower hat zumindest in Europa für einen Hallo-Wach-Schrei gesorgt. Nun ja, vielleicht nicht bei allen. Auf jeden Fall bei der Öffentlichkeit, bei der Feuerwehr, hoffentlich bei Planern und Ausführenden. Ich bin mir nur nicht sicher, ob Behörden und Gesetzgebung wach geworden sind.
Viel wurde in der Politik zuletzt über Brandschutz im Bauwesen diskutiert. Baustoffklassen, Brandriegel, vorbeugender Brandschutz, Brandschutzkonzepte, Überwachung… you name it. Nur ein Aspekt wurde trotz nachgewiesener Mangelhaftigkeit immer wieder beiläufig unter den Teppich gekehrt: die Brauchbarkeit von Testverfahren, die den anzuwendenden Planungs- und Nutzungsvorschriften zu Grunde liegen.
Testen kann man viel. Und teuer. Und theoretisch. Doch wenn es um Sicherheit geht, geht es vor allem um das Wissen, wie sich ein Feuer in der richtigen Welt entwickelt und welchen Schaden es anrichtet. Es geht nicht um Testkosten, es geht nicht um Lobbyismus, dabei geht es einzig und allein um Menschenleben.
Was das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) am Tag nach dem Brand des Grenfell Tower als sogenanntes Fact Sheet zur Beschwichtigung der Öffentlichkeit (oder auch nur zur politischen Rückendeckung) herausgegeben hat, erzählt leider nur die halbe Wahrheit. Dort heißt es unter anderem:
Verwertbare Erkenntnisse zum Einbau von schwer entflammbaren Materialien in älteren Hochhäusern liegen nicht vor.
Und
Wichtig ist, dass die Einhaltung der Vorschriften und Anforderungen im Brandschutz von den am Bau Beteiligten kontrolliert wird.
Aha. Es kann also immer sein, dass bei den entstandenen Bränden (mittlerweile) unerlaubte Materialien verwendet oder Feuer durch unvorhersehbare Ereignisse hervorgerufen wurden. Abbrennen von Pyrotechnik in einer Diskothek, um nur ein Beispiel zu nennen. Folgen von brennenden und vergessenen Zigaretten, von kurzgeschlossenen elektrischen Haushaltsgeräten und von außen auf Gebäude einwirkende Brände sollten durch gängige Tests jedoch gerne aufgedeckt werden können.
Scheinbar können sie das nicht immer, wenn man sich die Historie ansieht. Vielleicht sieht es in Deutschland besser (= sicherer) aus als in anderer Teilen der Welt, doch Untersuchungen nach der Grenfell-Tragödie haben auch bei uns zu Hause Schwachstellen aufgedeckt. Bei diesen geht es unter anderem um die Wahl von geeigneten Materialien, auch zusammen mit anderen Baustoffen in einer Konstruktion wie einer Fassade. Es geht um die richtige Lösung für die richtige Anwendung, damit ein sicheres Bauwerk errichtet werden kann.
Hierfür muss allerdings die gesamte Baubranche, angefangen von der Gesetzgebung über die Planung bis hin zum ausführenden Handwerker, auf Basis von fehlerfreien Vorgaben arbeiten können. In einigen Ländern wie in den VAE oder Serbien hat man aus den Mängeln der Vergangenheit gelernt und schreibt immerhin nicht-brennbare Dämmstoffe für die Dämmung von Fassaden in öffentlichen Gebäuden vor, egal wie hoch diese sein mögen. Das der Grenfell Tower wahrscheinlich auch dadurch nicht sicherer geworden wäre, gehört unter eine andere Überschrift.
Diese Arten von Vorgaben und Vorschriften sind zugegebenermaßen genauso pragmatisch wie drastisch und können zu überhöhten Baukosten führen. Brandschutzvorschriften in unserem Land berücksichtigen hingegen auch ökonomische Faktoren und basieren nun einmal auf Erfahrungen von Laborversuchen. Doch ist es ausreichend, wenn man Bauprodukte und Bausysteme brandschutztechnisch nur aufgrund einer Erwartungshaltung bewertet, wie diese bei einem realistischen Brand funktionieren werden?
Das wird von Experten aus der Praxis angezweifelt. Einige Hersteller von Baustoffen gehen sogar einen Schritt weiter und wollen, über die vorgeschriebenen Tests hinaus, von Tragödien wie dem Brand im Grenfell Tower lernen. Wie verhalten sich meine Produkte im eingebauten Zustand, im richtigen Leben, nachdem sie aufgrund von Laborversuchen bauaufsichtlich zugelassen wurden? Aus Fehlern wird man klug, sozusagen. Denn am Ende kann kein Labor die richtige Welt nachstellen, egal wie viele Parameter getestet werden.
Brandversuche im Labor können nicht simulieren, was im Ernstfall an einem größeren Gebäude passiert. Solche Versuche können nicht sicherstellen, dass alle Aspekte einer modernen Konstruktion berücksichtigt werden. Das ist unmöglich.
Risiken für eine erhöhte Brandgefahr – als sie im Laborversuch ermittelt wurde – liegen beispielsweise in mangelhafter Ausführung, unerwarteten Umweltfaktoren, unvorhersehbarem Nutzerverhalten oder einfach nur in der Alterung von Materialien. Das alles kann und darf in Zukunft nicht dazu führen, dass Bauvorschriften und Brandsicherheit insbesondere für und von Gebäuden mit eingeschränkten Möglichkeiten zur Evakuierung – wie Schulen, Krankenhäusern oder Altenheimen – nur auf Ergebnissen von Laborversuchen basieren, weil eine Bewertung aufgrund realitätsnaher Risiken vom Gesetzgeber nicht gefordert wird.
Wenn man wirklich etwas erreichen möchte, und da sind sich die Experten einig, muss man bereits in der Planung etwas gegen das Brandrisiko unternehmen und kann nur den Einsatz von nicht-brennbaren Baustoffen erlauben. Denn wenn es um Sicherheit geht, geht es vor allem um das Wissen, wie sich ein Feuer in der richtigen Welt entwickelt und welchen Schaden es anrichtet.
Nachtrag: Vertreter vom Deutschen Energieberater-Netzwerk DEN und der Feuerwehr Frankfurt/Main haben inzwischen eine gemeinsame Stellungnahme zu ihren bisher gemachten Äußerung zum Brand in London und anderen Brandfällen in Deutschland abgegeben. Darin heißt es, dass Wärmedämmung bei der energetischen Sanierung und ausreichender Brandschutz sich nicht ausschließen. Sowohl nicht brennbare als auch normal entflammbare Materialien eignen sich für die Dämmung von Gebäuden, vorausgesetzt eine detaillierte Planung beachtet im Vorfeld die Erfordernisse des Brandschutzes.
Und ich möchte den letzten Teilsatz unterstreichen.
Es wird oft leider am falschen Ende gespart, vor allem bei den Handwerkern / Dienstleistungen.
Die Bauträger oder Hausverwaltungen möchten das beste vom besten haben, wollen aber nicht zahlen, genau hier fängt es an.
Als Schlüsseldienst lehnen wir solche Bauträger und Hausverwaltungen vorne weg ab.
Wir wollen unser Arbeit gewissenhaft ausüben und haben sehr hohen Standards, wenn es um Sicherheit von Menschen geht.
Der Schlüsseldienst ist für Rauchwarnmelder zertifiziert.
Bestätigt durch den TÜV Rheinland.
Von der Wohnung über Firmen bis zu großen Wohnkomplexen.
Das ist immer ein interessantes Thema, aber auch nicht gerade leicht zu diskutieren. Man versucht immer wieder die Technik zu verbesern aber auch wir Menschen sollten eben vorsichtiger sein…
Ein kritisches und wichtiges Thema. Oft muss jedoch erst das Kind in den Brunnen fallen, bevor Dinge nachhaltig angeschoben werden.
Die Infos zur Dämmung sind sehr interessant, da dies meines Wissens bisher oft ein schwieriges Thema war.
Schöne Grüße
Tim
Ich habe es selbst schon erlebt, wie lapidar ein Handwerksbetrieb mit dem Thema Feuerbrandschutz umgegangen ist. Wenn ich damals nicht darauf bestanden hätte, Sicherheitskästen um in Decken eingelassene Lampen zu bauen, hätte der Handwerker diese einfach in die Dämmung gedrückt. Sein Argument: Die Lampen brennen ja nicht 24 Stunden am Stück. Da wird die Dämmung schon nicht so heiß, dass es anfängt zu schmoren… Ja vielen Dank auch…. und wenn mal einer vergisst, das Licht auszuschalten ??? Unglaublich!
Im Gegensatz zu anderen Ländern schreibt Deutschland das Thema Brandschutz und Sicherheit sehr groß. Dennoch gibt es auch hier immer noch Ecken und Enden, an denen Feuerbrandschutz nachhaltig verbessert werden kann und sollte. Hier ist vor allem der Feuerbrandschutz in den eigenen vier Wänden gemeint. Denn da schaut das Gesetz nicht so streng hin, wie in Bürogebäuden und öffentlichen Einrichtungen. Dennoch ist es in einer Umgebung, in der man sich eigentlich sicher fühlen möchte, sehr wichtig.
Legale Täuschungen und Irreführungen kommen aus dem Spalt zwischen EnEV und Brandschutz: bei einer Fassadendämmung im Rahmen einer Altbausanierung bis zu 15 cm dicken Polystyrol-Platten besteht keine baurechtliche Überprüfung des Brandschutzes (anschließend Flucht- und Rettungswege).
Wenn sie den Film in YouTube „Der Countdown: Styropor an der Fassade. Der Feuerring.“ ansehen, werden Sie verstehen warum die Feuerwehr keine ruhigen Nächte hat.
Anbei ist ein Link: https://www.youtube.com/watch?v=xNCtPFHnUDI
In der Baupraxis gibt sind verschiedene Fälle, bei denen einfachste Brandregeln vernachlässigt sind und vieles dabei schief gehen kann. Bei diesem YouTube-Video finde ich gut, dass gezeigt wird wie die letzten Fluchtmöglichkeiten verschwinden. Falls es in diesen Häusern brennen würde, wäre keine Rettung mehr möglich.
Auch wir als Brandschutzberater in der Nähe von Hannover stellen bei Neukunden immer erhebliche Mängel im Brandschutz fest. Teilweise ist es unfassbar wie leichtfertig man hohe Risiken eingeht, und dabei die Immobilie und Gesundheit der Menschen gefährdet. Gründe dafür sind Kosten einsparen, Naivität, Unkenntnis, … Allerdings ist es auch nicht leicht alles bei den ständig ändernden Gesetzen, Bauverordnungen, usw. richtig zu machen. Aus dem Grunde sollte man diese Aufgabe lieber an einen externen Dienstleister abgeben, welcher sich tagtäglich mit solchen Herausforderungen beschäftigen muß.
Also den Zwiespalt zwischen EnEV und Brandschutz finde ich auch interessant. Aber wahrscheinlich wird erst einiges passieren müssen, bevor hier ein Umdenken stattfindet. Und in Lokalzeitungen findet man immer wieder Geschichten von Hotelbesitzern oder Gastwirten, die wegen exorbitanter Kostensteigerungen beim Brandschutz ihre Häuser dichtmachen müssen. Leer stehende Wohnungen können nicht vermietet, Veranstaltungsräume nicht genutzt werden, weil ein zweiter Rettungsweg fehlt. Da schlägt der Brandschutz unerbittlich zu.
Das Thema ist sehr wichtig und der Artikel zeigt das. Brandschutz ist eine Notwendigkeit bei jedem Bau. Komplett Lesenswert gute Arbeit.
Brandschutz ist eben etwas was sein muss. Solche Beiträge sollten wir öfter lesen und auch auf die Tipps von Experten hören.
Das Feuer im Grenfell Tower in London scheint viele Menschen auch in Deutschland bewusst gemacht zu haben, dass ein Brandschutzkonzept auch für das Eigenheim oder für den Pferdestall auf dem Bauernhof definitiv eine Option sein sollte. Wie Sie beschreiben, kann durch unerlaubte Mittel wie Pyrotechnik in einer Diskothek immer ein Brand entstehen. Man sollte für alle Fälle gewappnet sein und dementsprechende Vorkehrungen getroffen haben. Vielen Dank für diesen Beitrag.
Sowohl in Wohngebäuden als auch in gewerblich genutzten Gebäuden gilt es insbesondere den vorbeugenden Brandschutz zu berücksichtigen. Denn es sollte stets das Ziel sein, Brände und deren Ausbreitung zu verhindern statt diese schnellstmöglich zu löschen.
Bei Neubauten aber auch bei Modernisierungsmaßnahmen sollte der Fokus auf nichtbrennbare Dämmstoffe gelegt werden. Hierfür bietet sich beispielsweise Steinwolle an. Grundsätzlich gilt hierbei jedoch die rechtlichen Anforderungen einzuhalten und beispielsweise sogenannte Brandriegel an den dafür vorgesehenen Stellen einzubauen.
Im unternehmerischen Kontext gilt es, sämtliche Maßnahmen möglichst effektiv und effizient umzusetzen. Viele Unternehmen scheuen die Kosten für Brandschutzmaßnahmen, jedoch lassen sich oftmals viele Maßnahmen kostengünstig umsetzen. Beispielsweise kann durch eine Sensibilisierung der Mitarbeiter*innen und die Ausbildung von Brandschutzhelfer*innen eine deutliche Reduktion des Brandgefahrenpotenzials erreicht werden. Auch sind beispielsweise zusätzliche Feuerlöscher eine geringe jedoch sinnvolle Investitionsmöglichkeit im Bereich des Brandschutzes.
Wenn man sich die tragischen Brandfälle vor Augen führt, wünscht man sich, sich zum Beispiel während der Schulzeit intensiver mit dem Thema Brandschutz beschäftigt zu haben. Die Übung für den Fall eines Brandes genügt allein nicht. Unter anderem sollte gelehrt werden, welche technischen Möglichkeiten es gibt, einen Brand frühzeitig zu erkennen, ehe er sich ausbreitet.
Vielen lieben Dank euch für diesen großartigen und informativen Artikel, ich konnte einiges für mich mitnehmen. Und freue mich schon jetzt weitere Beiträge von euch zu Lesen.
Grüße Markus