Nach meinem Urlaub bin ich doch jetzt endlich mal dazu gekommen, meine aufgelaufenen Newsletter (teilweise) zu lesen. Wenn man das so geballt tut, merkt man erstmal, wie viele Merkwürdigkeiten sind darin anhäufen. Eine der Überschriften war: ‚In gedämmten Gebäuden wird mehr Energie verschwendet als in ungedämmten‘. Kurze Pause, grinsen, nachdenken, nochmal lesen, nachdenken, zum gleichen Ergebnis kommen. Dann den Artikel lesen und sich denken: ‚Ja, da könnte in vielen Fällen wirklich was dran sein. Aber irgendwie war die Überschrift irreführend.‘
Trotz ihres erheblichen Irreführungspotentiales war diese Aussage zur Energieeffizienz von Gebäuden natürlich nicht völlig an den Haaren herbei gezogen, sondern basiert auf einer groß angelegten statistischen Untersuchung des Energieverbrauchs von mehreren Millionen Wohnungen in Deutschland. Ein Rechenfehler liegt hier nun nicht unbedingt vor, doch sollte man sich ein paar mehr Gedanken über die Voraussetzungen machen, die dieser Schlussfolgerung zugrunde liegen.
Der Leiter der Untersuchung, Prof. Dr. Clemens Felsmann vom Institut für Energietechnik an der Technischen Universität Dresden, formuliert die Schlussfolgerung in etwa so: Je besser der energetische Zustand der Gebäudehülle ist, desto weniger kümmert die Bewohner ihr Umgang mit der Wärme.
Oder mit anderen Worten: ‚Jetzt haben wir endlich eine Heizung im Haus, die es schafft, das Haus warm zu halten. Warum sollten wir sie nicht nutzen, wenn wir das Geld dafür haben‘. Aber zu dieser Interpretation der Ergebnisse später noch ein wenig mehr. Vorher noch kurz zur Theorie hinter dem Ganzen.
Vor ziemlich genau 2 Jahren hatte ich an gleicher Stellen schon einmal über dieses Thema geschrieben. Dabei ging es um den sogenannten Rebound-Effekt. Demzufolge werden energetische Einsparungen, die z.B. durch effizientere Technologien möglich werden, durch vermehrte Nutzung zunichte gemacht. Dieser Rebound-Effekt wurde mittlerweile auch in Verbindung mit dem Energieverbrauch von Gebäuden von der EU eingehender untersucht. Den Schlussbericht dieser Untersuchung kann man hier herunterladen.
Es gibt also gesicherte Hinweise, dass sich dieser Effekt im Bereich der Energieeffizienz von Gebäuden bei der Beheizung, bei der Kühlung, bei Elektrogroßgeräten und bei der Beleuchtung mit einer Größenordnung von 10 bis 30% niederschlägt. Verbesserungen der Effizienz und damit verbundene Kostensenkungen resultieren dem Bericht zufolge in einem höheren Verbrauch durch den Nutzer. Das mag in der Zukunft jedoch anders sein, wenn der Verbrauch sinkt und die Gehälter steigen, da die Energiekosten gerade bei geringeren Einkommen höher zu Buche schlagen. Doch gerade aus diesem Grund wird dann auch der Rebound-Effekt für Menschen mit geringerem Einkommen größer sein.
Nun also wieder zur Studie von Prof. Felsmann. Hierin konnten Daten von 3,3 Millionen der insgesamt 18 Millionen Wohnungen in deutschen Mehrfamilienhäusern ausgewertet werden, die von der Arbeitsgemeinschaft Heiz- und Wasserkostenverteilung zur Verfügung gestellt wurden. Daran lässt sich ablesen, dass die tatsächlich vorhandene Raumtemperatur in der Hälfte der Wohnräume unter 19°C lag. Nur zur Erinnerung: die aktuellen Vorschriften zur Bestimmung des Energiebedarfs schreiben eine Solltemperatur von 20°C vor.
Dies hat zur Folge, dass der reale Energieverbrauch in vielen Fällen weit unter dem berechneten Energiebedarf entsprechend Energieeinsparverordnung (EnEV) liegt, was wiederum zu einer Überschätzung der Amortisierungszeit von energetisch wirksamen Baumaßnahmen an Gebäudehülle und Anlagentechnik führt.
Zwar steigen die durchschnittlichen Raumtemperaturen mit einer Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden deutlich an. Doch erst bei Gebäuden, die nach dem Stand der EnEV 2002 geplant und gebaut wurden, liegen die Raumtemperaturen im Mittel bei etwa 20°C. Und erst bei Einhaltung der aktuellen EnEV können Mittelwerte auch darüber angegeben werden.
Oha, Öl auf die Feuer der Dämmstoffgegner! Nein, ganz so schlimm ist es dann doch nicht.
Zum einen konnte in der Studie ’nur‘ auf Wohnungen in Mehrfamilienhäusern eingegangen werden. Hier wird – wie in der Untersuchung der EU zum Rebound-Effekt auch dokumentiert – ein niedrigeres Einkommen und damit die eingeschränkten Ausgabemöglichkeiten für Energie eine größere Rolle spielen als bei Einfamilienhäusern, von denen es bei etwa 40 Millionen Haushalten in Deutschland ja auch nicht gerade wenige gibt. Damit wird die Bedeutung der Raumtemperaturen im Gesamtbild schon wieder relativiert. Ganz ohne dass man Dämmstoffen die Schuld geben müsste.
Zum anderen ist in diesem Zusammenhang eine weitere Erkenntnis der Studie interessant: Der Verbrauch an Energie zur Erwärmung von Trinkwasser erhöht sich durch energetische Verbesserungen am Gebäude nicht. Durchschnittlich liegt dieser in den 3,3 Millionen betrachteten Wohnungen bei 26 kWh/(m²·a) und damit weit über dem Doppelten von dem, was in DIN V 18599 Teil 10 als Nutzenergiebedarf angenommen werden soll: 12,5 kWh/(m²·a). Und die Warmwasserbereitung macht einen nicht unerheblichen Teil des Heizwärmeverbrauchs einer Wohnung aus. Bei Altbauten von vor 1977 sind es durchschnittlich 17%, bei Gebäuden nach EnEV 2002 sind es mehr als 28%.
Die Folge solch unrealistischer Annahmen in den Berechnungsvorschriften sowie dem darin nicht berücksichtigen Nutzerverhalten ist jedoch, dass Einsparpotenziale weder im Altbau noch im Neubau seriös berechnet werden können. Speziell in Niedrigenergiehäusern wird so für Heizung und Lüftung weitaus tatsächlich mehr Energie verbraucht als berechnet.
Lieber Macher von EnEV und DIN 18599, daher meine Bitte an Sie:
Kommen Sie mit Ihren Berechnungstheorien doch wieder auf dem Teppich zurück. Faktoren und Beiwerte, die den Strombedarf von Pumpen und Lampen in der zweiten Dezimalstelle hinter dem Komma verändern und zudem Produzenten völlig unbekannt sind, sollten der Vergangenheit angehören. Um dem Verbraucher wieder etwas mehr Vertrauen in energetische Prognosen zu geben, muss man an einflussreicheren Schrauben drehen.
Und nebenbei kann man Energieberatern und Bauphysikern eine Menge überflüssige Arbeit ersparen.
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