Was passiert, wenn man den Energieverbrauch von 10 baugleichen Gebäuden mit identischer Nutzung misst? Richtig, man erhält mindestens 11 Ergebnisse. Warum? Weil die theoretischen Annahmen zur Berechnung des Energiebedarfs nach den geltenden Bestimmungen eine unüberwindbare Hürde haben: den Nutzer. Dessen Einfluss kann nicht schematisiert werden. Lüftungsverhalten, als angenehm empfundene Raumtemperaturen, die Dauer eines Duschbades – all dies muss pauschal in Energieberechnungen einfließen, hat aber einen entscheidenden Einfluss auf die Ergebnisse.
Man kann es sich leicht vorstellen. In einem Reihenmittelhaus am Sparweg 16d, das Ende der 70er Jahre erbaut wurde und bisher nicht saniert wurde, wohnt eine alleinstehende, ältere Dame. Das Obergeschoss inklusive Badezimmer wird nur noch sporadisch genutzt, weil das Treppensteigen schwer fällt. Im Erdgeschoss wird gekocht, geschlafen, gelebt. Die Raumtemperatur liegt bei angenehmen 19°C. Was braucht es auch mehr, es gibt doch Decken, wenn man frieren sollte.
Im Nachbarhaus am Sparweg 16e wohnt Familie Wohlbehagen. Vater, Mutter und 3 Töchter im Teenage-Alter (ja, ich weiß, dass das ein wenig plakativ ist… aber der Punkt sollte nun klar sein). Das Badezimmer leidet unter Dauernutzung, die Raumtemperaturen sind so eingestellt, dass man auch in Shorts und T-Shirt im Winter nicht frieren muss, die Waschmaschine kennt keine Pause und elektrische Kleingeräte kein Stand-by.
Diesen Unterschieden in der Nutzung eines Gebäudes versucht man in der Energieeinsparvordnung (EnEV) über die Möglichkeit der Ausstellung eines Energieverbrauchsausweis Rechnung zu tragen. Stellt man für die beiden vorgenannten baugleichen Gebäude einen solchen aus, lebt die ältere Dame also quasi in einem Niedrigenergiehaus, wohingegen Familie Wohlbehagen dringenst ihren Energieverbrauch überdenken und eine Sanierung ins Auge fassen sollte. Die Bewertung über den rechnerisch ermittelten Energiebedarf wird irgendwo zwischen diesen beiden Extremen liegen, lässt jedoch den Einfluss des Nutzers maßgeblich außen vor.
Bei Nichtwohngebäuden ist es schon schwieriger, den Nutzereinfluss auf den Energieverbrauch zu bestimmen, denn diese werden selten so gebaut, dass sie baulich vergleichbar wären. Doch auch hier lassen sich große Einflüsse feststellen. In Hannover bot sich im Rahmen eines Forschungsvorhabens die Möglichkeit, den geplanten Energiebedarf von 8 nahezu identischen Kindertagesstätten mit deren tatsächlichem Energieverbrauch über detailliertes Energiemonitoring zu vergleichen. Hier gab es nicht nur Abweichungen zwischen Planung und Betrieb sondern auch zwischen den einzelnen baugleichen Objekten, obwohl diese im Prinzip auf die gleiche Art und Weise genutzt werden.
Während der durchschnittliche Wärmeenergieverbrauch der für Passivhausniveau geplanten Kindertagesstätten im Jahre 2014 bei 69 kWh/m² (Energiebezugsfläche EBF) lag und der Energieverbrauch zur Bereitstellung von Warmwasser in allen Gebäuden mit 26 kWh/m² recht konstant war, schwankte der Endenergieverbrauch zwischen 57 und 87 kWh/m² (Nettogrundfläche NGF). Schwachstellen in Planung und Betrieb der Kindertagesstätten werden in den folgenden Punkten gesehen:
- Nicht alle wesentlichen Energieverbraucher können mit den vorhandenen Planungswerkzeugen erfasst und bewertet werden. Dies gilt im Fall der Kindertagesstätten insbesondere für die elektrische Grundlast, die mit knapp 1,1 kW ein Viertel des gesamten Stromverbrauchs ausmacht.
- Von den Standards abweichende Raumtemperaturen führen zu großen Unterschieden in der Bilanzierung.
- Eine Optimierung der Gebäudeautomation und des Betriebs der Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung und Heizregister kann zu erheblichen Einsparungen führen. Hierzu ist nicht nur eine Qualitätssicherung während der Planung notwendig, sondern auch Qualitätsprüfungen im laufenden Betrieb.
Der Einfluss des Nutzers kann also weder in der Planung von Wohngebäuden noch von Nichtwohngebäuden ausreichend gut abgebildet werden. Vielleicht sollten sich die Macher von Normen und Vorschriften hierüber einmal ein paar Gedanken machen, bevor EnEV & Co. in ihren nächsten Fassungen noch komplizierter gestaltet werden und an Schrauben gedreht wird, deren Auswirkungen im Promillebereich des Nutzereinflusses liegen.
Weniger ist eben manchmal mehr.
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